Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.10.1996, Nr. 240, S. T8
Eine kleine Lehre über harte Schläger und weiche Saiten
Die Bespannungshärte als Zielkonflikt zwischen hohem Balltempo und präziser Kontrolle / Am Ball treten die größeren Energieverluste auf
Jeder Tennisspieler sollte sich darüber im klaren sein, daß die Saite etwa 80 Prozent der Spieleigenschaften eines Tennisschlägers ausmacht. Nicht der Rahmen und der Griff sind entscheidend, sondern die Federungseigenschaft der Bespannung. Diese Tatsache ist dem Verkauf neuer Schläger natürlich nicht sehr förderlich. Da die Tennissaite den unmittelbaren Ballkontakt hat, ist auch der technisch aufwendigste Schläger in seinen Spieleigenschaften wesentlich von der Bespannung abhängig. Deshalb läßt sich Boris Becker die Schläger von seinem eigenen mitreisenden Experten am Tag des Einsatzes bespannen.
Die meisten Spitzenspieler lassen sich ihre Schläger hart bespannen. Daraus folgern Beobachter, das sei der Grund für die hohe Geschwindigkeit ihrer Bälle: ein Irrtum. Richtig ist, daß der weich bespannte Schläger die schnelleren Bälle schlägt. Der Grund liegt darin, daß bei der Verformung des Balls beim Schlag größere Energieverluste auftreten als bei der Verformung der Bespannung. Genauer: Die Verformung der Bespannung führt zu Verlusten von etwa 5 Prozent, die Verformung des Balls beim Kontakt mit der Bespannung dagegen von rund 50 Prozent. Die Bespannung kann also als eine fast verlustfreie Feder angesehen werden. Hingegen darf ein Ball, der aus 100 inches (2,54 Meter) Höhe auf einen harten Untergrund fällt, nicht höher als 58 inches (1,47 Meter) und nicht weniger als 55 inches (1,40 Meter) hochspringen, um zu offiziellen Turnieren zugelassen zu sein. Die Forderung, daß der Ball fast die Hälfte seiner Energie beim Abprall verliert, beeinflußt entscheidend die Wechselbeziehung von Ball und Schläger: Eine harte Bespannung hat eine geringere Deformation der Saitenoberflächen zur Folge. Daher ist die Deformation des verluststärkeren Balls größer. Aufgrund der größeren Energieverluste bei der Ballverformung lassen sich mit der harten Bespannung nur geringere Ballgeschwindigkeiten im Spiel erzielen.
Im Fernsehen ist oft genug zu beobachten, daß Spieler sich einen anderen Schläger holen, wenn sie die Bälle mehrmals über die Grundlinie geschlagen haben. Sie hoffen, der andere Schläger habe noch nicht so stark in der Spannung nachgelassen. Die Wahl der Saitenvorspannung sollte sich nach folgenden Kriterien richten: - dem Abstand zwischen den einzelnen Saiten, - den Spielgewohnheiten des Spielers und den Ballgeschwindigkeiten, die angestrebt werden, und - der Größe der Schlagfläche.
Oversized-Schläger haben eine um 30 Prozent größere Spielfläche und müßten daher im Vergleich zu einem kleineren Schläger härter bespannt werden, wenn die gleichen Spieleigenschaften erreicht werden sollen. Das liegt darin begründet, daß die Elastizität der Schlagfläche einerseits durch die Größe des Rahmens und andererseits durch die Vorspannung bestimmt wird.
Beim Bespannen wird die Saite mit einer Kraft zwischen 180 und 340 Newton vorgespannt. Diese Vorspannkraft wird fälschlich oft "Härte" genannt. Drückt ein Ball auf die Schlagfläche, so geben die Saiten nach. Je höher die Vorspannkraft, um so größer die Steifigkeit (Härte) der Schlagfläche und um so geringer die Elastizität oder Weichheit der Schlagfläche. Schläger gleichen Gewichts, gleicher Schwerpunktlage, gleicher Länge und gleicher Kopfgröße unterscheiden sich bei gleicher Bespannungshärte mit gleichen Saiten fast nicht. Große Schlägerköpfe müssen mit größerer Kraft bespannt werden, um die gleiche Bespannungshärte oder Elastizität zu haben wie kleine Schläger. Das heißt auch, die Angabe einer Saitenvorspannkraft allein, ohne den Bezug zur Schlagfläche, sagt wenig über die Elastizität der Schlagfläche und damit über die Spieleigenschaften aus.
Warum vermittelt ein hart bespannter Schläger letztlich mehr Kontrolle über den Ball? Jeder träumt von einer optimalen Ballkontrolle, das heißt, die Flugbahn des Balls sollte gleichartig und vorhersehbar sein. Oft wird die Beziehung Ballkontrolle/ Bespannungshärte so erklärt: "Bei zu weicher Saitenspannung kommt es zu unkontrollierbaren Rückschleudereffekten, dem sogenannten Trampolin-Effekt. Daher vermittelt eine weiche Saite weniger Kontrolle über den Ball." Dieser Effekt tritt jedoch nur bei äußerst geringen Saitenspannungen (weniger als 140 Newton) auf - schließlich kann man Tennis nicht mit einem Schmetterlingsnetz spielen. Die Korrelation zwischen der Bespannungshärte und der gewünschen Kontrolle wird gelegentlich auch anders erklärt: "Eine weiche Bespannung wölbt sich sehr stark, wenn der Ball in das Saitenbett eintaucht. Der Ball trifft somit auf eine nicht-ebene Fläche und prallt daher unter einem größeren Neigungswinkel vom Schläger ab." Diese Erklärung beschreibt eher die Ausnahme als die Regel. Sie trifft nur auf Bälle zu, die im Randbereich der Schlagfläche auftreffen, aber dann ohnehin nicht im Feld landen. Warum eine harte Bespannung mehr Kontrolle über den Ball vermittelt, beruht auf einem physikalischen Effekt, der in der Abbildung schematisch dargestellt ist.
Zum besseren Verständnis der physikalischen Zusammenhänge soll in der Skizze die Geschwindigkeit v1 als konstant angenommen werden. Um die gleiche Rückprallgeschwindigkeit c1 des Balls zu erzielen, muß ein hart bespannter Schläger wegen der größeren Energieverluste durch die größere Verformung des Balls mit einer größeren Geschwindigkeit v2 geschwungen werden als ein weich bespannter. Je größer die Geschwindigkeit des Schlägers ist, desto kleiner ist der Abprallwinkel b des Balls, desto mehr wird dem Ball also die Bewegungsrichtung des Schlägers aufgezwungen. Worin ist dieser Effekt begründet? Schlagverluste oder Energieverluste liegen nur in Y-Richtung vor, dagegen treten in X-Richtung theoretisch kleine Verluste auf, wenn der Ball rund bleibt. Tatsächlich wird aber bei hohen Relativgeschwindigkeiten der Ball stark abgeflacht, so daß die Geschwindigkeitskomponente parallel zur Schlagfläche mit steigender Relativgeschwindigkeit immer mehr unterdrückt wird - der abspringende Ball fliegt immer mehr in Schlägerrichtung ab.
Zwei Beispielsituationen auf dem Tennisplatz verdeutlichen diese Theorie: 1. Wenn der ankommende Ball einen Spin hat, wird dieser durch eine stärkere Abflachung bei einer harten Bespannung wirkungslos für die Return-Flugbahn. Der Spieler hat wenig Kontrolle über einen Ball, den er vom Schläger nur "abtropfen" läßt, und das besonderes bei Bällen mit Spin. Auch Spitzenspieler schlagen deshalb gelegentlich Stop-Bälle wie Anfänger ins Netz. 2. Beim Aufschlag hat die Flugbahn des Balls vor dem Schlag nichts mit dem zu tun, was mit dem Ball nach einem harten Aufschlag passiert. Vor dem Schlag bewegt sich der Ball etwa bei Steffi Graf fast senkrecht zur Bewegungsrichtung des Schlägers. Unmittelbar nach dem Aufschlag hat sich die Bewegungsrichtung des Schlägers vollständig auf den Ball übertragen, weil der im Stoß abgeflachte Ball seine Geschwindigkeit parallel zur Schlagfläche nicht beibehalten konnte. Unabhängig von der Bespannungshärte ist es relativ leicht, einen Ball in die Richtung zu schlagen, aus der er gekommen ist, da in diesem Fall zwangsläufig a = b = 0 ist (Skizze). Einen Cross-Ball cross plaziert zurückzuschlagen, ist mit jeder Bespannungshärte leicht. Einen Cross-Ball long-line plaziert zurückzubringen, gelingt auch Pete Sampras in der Regel nur mit einem Power-Schlag. Ebenso versucht Agassi den zweiten Kick-Aufschlag seines Gegners anzugreifen, weil nur der hart geschlagene Return mit einiger Sicherheit an der Seitenlinie landet.
Bei der Wahl der Bespannungshärte zeichnet sich also zwangsläufig ein Zielkonflikt zwischen hohen Ballgeschwindigkeiten und der angestrebten Kontrolle ab. Entweder man entscheidet sich für einen Schläger, der sich komfortabel spielen läßt und zudem schnelle, allerdings auch unkontrollierbare Bälle liefert, oder man bevorzugt den hart bespannten Schläger, der eine hohe Ballkontrolle vermittelt. Dieser muß dann wegen der größeren Energieverluste mit Hingabe geschwungen werden. Nachteil: Der Arm wird stärkeren Schlägen ausgesetzt.
Leider währt die Freude an einem neu bespannten Schläger nicht sehr lange. Schon während des Bespannvorgangs und während der ersten Gebrauchsstunden verlieren die Saiten wegen der Relaxation einen erheblichen Teil ihrer ursprünglichen Spannung. Daher zeichnet sich eine hochwertige Saite, etwa eine Naturdarmsaite, vor allen Dingen dadurch aus, daß die Bespannungshärte lange bestehen bleibt oder daß der Spannungsabfall wesentlich länger dauert. Leider gibt kein Hersteller den Spannungsverlust, die Relaxation, seiner Materialien in Zahlen an. FRANK JUNKER
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