Hausarbeit von Harald Müller zum Staatlich geprüften Tennislehrer 1998
Grundlagentraining im Kindesalter
1. Überlegungen zum Kindertraining
Früher konnten sich die Tennistrainer und Vereine nicht über Nachwuchsprobleme im Tennissport beklagen. Die Anzahl tennisinteressierter Jugendlicher war groß, wodurch sich ein hoher Leistungsstand im Spitzensport herauskristallisierte. Viele Kinder, die in die Vereine kamen waren sportlich begabt, weil sie auf Bolzplätzen Fußball spielten, auf Abenteuerspielplätzen kletterten und sich in ihrer Freizeit viel mehr im Freien bewegten. Sie waren motorisch und koordinativ besser vorgebildet und konnten fangen, werfen, laufen, springen etc. Die Tennistrainer konnten im allgemeinen gleich mit der Tennistechnik beginnen und spielten vorwiegend mit den Kindern im normalen Tennisfeld. Diese Zeiten sind wohl vorbei.
Das Training an der Basis, also in den Vereinen oder deren Abteilungen muß sich den neuen Entwicklungen anpassen. Die Betreuung der Kinder und Jugendlichen durch fachlich gut geschultes Trainerpersonal hat eine hohe Priorität. Dabei ist nicht die Leistung der Kinder das zunächst Ausschlaggebende, sondern der Spass und die Freude, mit der die Kinder an den Tennissport herangeführt werden. Genau dieser Bereich ist es, der in den vergangenen Jahren vernachlässigt wurde. Die Trainer müssen sich viel mehr Gedanken machen, wie man Kinder ab 4 Jahren kindgerecht trainiert, damit sie im Tennissport ihre persönliche Höchstleistung annähernd erreichen können oder überhaupt lange Sport treiben, was aus vielen Gründen von Vorteil wäre. Verwendet man bei Kindern ab 4 Jahren den Begriff des Tennistrainings, so bedeutet das nicht, daß in den Trainingseinheiten nur Tennis gespielt wird. Die vielzitierte Forderung nach einer vielseitigen Ausbildung ist nach wie vor der absolute Stand in der Sportwissenschaft. Es ist unumstritten, daß die individuelle Höchstleistung sich nur mit Hilfe einer allgemeinsportlichen Grundlagenausbildung erreichen lässt. Das Tennistraining im frühen Schulkindalter sollte aus Übungen bestehen, die phantasieanregend und variabel zum Laufen und Springen, Werfen und Fangen sowie vielen weiteren Bewegungsformen anregen. Die Integration der genannten Bewegungsformen in das Training mit Ball und Schläger ist dabei die Hauptaufgabe eines verantwortungsvollen Trainers.
Aus pädagogischer und psychologischer Sicht sollte ein solches Training drei Bedingungen erfüllen:
1. Das Training muß den Kindern Spaß und Freude bereiten,
2. Das Training muß zur Leistungssteigerung geeignet sein,
3. Die Kinder sollten im Training persönliche Erfolgserlebnisse haben.
Zur Erfüllung dieser drei Bedingungen sollte der Trainer den Trainingsaufbau langfristig planen. Um ein hohes tennisspezifisches Niveau im Höchstleistungsalter zu erreichen, ist ein langfristiger und systematischer Trainingsaufbau, der im Kindesalter beginnt und sich über das Jugend – und teilweise auch das frühe Erwachsenenalter erstreckt, notwendig. Die Trainingsbelastungen sind im Laufe der Entwicklung so zu dosieren, daß die physischen und psychischen Entwicklungsmöglichkeiten optimal im Sinne eines höchstmöglichen Endniveaus ausgeschöpft werden, ohne daß es zu physischen und psychischen Überforderungen kommt. Dabei sollte beachtet werden, daß insbesondere bei Kindern und Jugendlichen der Entwicklungsstand und damit auch die Auswahl geeigneter Trainingsinhalte und Trainingsanforderungen sowohl von Reifungsprozessen (biologisches Alter) als auch von Anpassungserscheinungen durch Training (Trainingsalter, Adaptionsniveau) beeinflußt werden.
2. Ziele des Grundlagentrainings
Das sogenannte Grundlagentraining stellt im Leistungstennis wie auch im Breitensporttennis den ersten Trainingsabschnitt im langfristigen Trainingsaufbau dar, der zum Erwerb vielfältiger allgemeinsportlicher und tennisspezifischer Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse genutzt werden sollte. Nach dem Grundlagentraining folgen (im Hinblick auf das Leistungstennis) das Aufbau-, das Leistungs-, und das Hochleistungstraining.
Ein systematisches Training im engen Sinne ist bei Kindern unter 7 Jahren nicht sinnvoll. Trotzdem können Kinder bereits im Vorschulalter mit dem Tennisspiel beginnen, insbesondere im Sinne eines spielerischen und vielfältigen Umgangs mit Ball und Schläger. Hierfür bietet sich vor allem das Kleinfeldtennis (Minitennis) an.
Die zentralen Ziele des Grundlagentrainings sind insbesondere:
1. Grundlagen für eine spätere optimale Leistungsentwicklung zu schaffen. Das Grundlagentraining stellt somit die Basis für ein systematischen Trainings– und Leistungsaufbau mit dem Ziel der individuellen Höchstleistung dar.
2. Da die Grundlagen relativ allgemein sind, stellen sie auch die Basis für ein freudvolles Tennisspiel auf Breitensportebene dar.
3. Das Grundlagentraining ist auch aus pädagogischer Sicht sinnvoll, weil die Vielseitigkeit kindgemäß ist, Spaß macht und gleichzeitig motivierend wirkt.
4. Ein vielseitiges Grundlagentraining trägt darüber hinaus auch erheblich bei zur Prävention gegen Sportverletzungen und Sportschäden, die wiederum durch einseitige Belastungen entstehen können. Damit ist ein vielseitiges Grund-lagentraining auch sportmedizinisch zu befürworten.
3. Inhalte des Grundlagentrainings
Um die Inhalte des Grundlagentrainings festlegen zu können, muß man die wichtigsten leistungsbestimmenden Faktoren im Wettkampftennis kennen und wissen, wie diese langfristig zu trainieren und auszubilden sind, ohne gesundheit-liche Schäden zu verursachen. Die Sportart Tennis wird durch leistungslimitierenden Faktoren bestimmt. Dies sind die Koordinationsfähigkeit und Koordinationsschnelligkeit, sowie praktisch alle Arten der Schnelligkeit, der Schnellkraft, der Wahrnehmungs - und Antizipationsfähigkeit und der Reaktionsfähigkeit. Dazu gehören auch die leistungsbestimmenden Faktoren Beweglichkeit, Schnelligkeitsausdauer, Schnellkraftausdauer, aerobe und anaerobe Ausdauer.
Dazu muß aber gesagt werden:
Die Beweglichkeit muß zwar nicht ausgeprägt sein wie bei Artisten, sie ist aber eine unabdingbare Voraussetzung für eine gute Funktionalität der Muskulatur bei allen Bewegungsabläufen sowie beim Koordinations- und Schnelligkeitstraining. Ausserdem ist sie eine Notwendigkeit für die Verletzungsprophylaxe.
Auch bei der aeroben Ausdauer muß man keine Werte von Langstreckenläufern oder Radrennfahrern anstreben, aber sie ist eine Voraussetzung für ein länger andauerndes hochintensives und hochqualitatives Training und für eine schnelle Regenerationsfähigkeit zwischen den einzelnen Trainingseinheiten und -abschnitten oder zwischen Spielen und Turnieren. Die aerobe Ausdauer ist außerdem die Basisfähigkeit die gut ausgebildet sein muß, um später ein intensives Training der anaerob-laktaziden Ausdauer zu gewährleisten. Eine vielseitige Koordinationsschulung im Kindesalter führt zu einer erhöhten motorischen Lernfähigkeit und ist die Grundlage für ein spezielles Techniktraining. Außerdem ist eine allgemeine Kräftigung der Ganzkörpermuskulatur die Grundlage für ein späteres Training der Maximal- und Schnellkraft und ist auch eine notwendige Voraussetzung zur Vermeidung von Sportverletzungen und Sportschäden. Bei Kindern sollte jedoch nicht mit Fremdgewichten gearbeitet werden, da die Wachstumsfugen noch nicht verknöchert sind und das Muskelkorsett (insbesondere im Rumpfbereich) noch ungenügend entwickelt ist.
Da im Kindesalter das Zentralnervensystem bereits weit entwickelt ist und die Leistungsfähigkeit des Nervensystems (wie zum Beispiel bei der Reaktionsfähigkeit) eine zentrale Rolle spielt, kann bereits im Vorschul- und im Schulalter eine intensive Förderung empfohlen werden. Bei der Belastbarkeit bestehen kaum Einschränkungen.
Daraus ergeben sich die Trainingsempfehlungen für das Tennisgrundlagentraining im Schulalter:
Koordination
· allgemeine und tennisspezifische Koordinationsübungen
Schnelligkeit mit niedrigem Kraftanteil
· Übungen zur Förderung der Reaktionsschnelligkeit,
· Übungen zur Förderung der Frequenzschnelligkeit,
· Übungen zur Förderung der Aktonsschnelligkeit,
· Übungen zur Förderung der Schnellkraft,
Kraft
· Übungen zur allgemeinen Kräftigung der Muskulatur
Beweglichkeit
· Übungen zum dynamischen Dehnen der Muskulatur
(aktive Beweglichkeitsschulung)
Ausdauer
· aerobe Ausdauerübungen
4. Weitere theoretische Überlegungen
Eine zentrale Frage im Kindesalter ist immer wieder die frühzeitige Spezialisierung. Diese beinhaltet einen planmässigen Trainingsaufbau mit dem Ziel, Kinder und Jugendliche möglichst schnell zu Erfolgen und auch zur persönlichen Bestleistung zu führen. Zu diesem Zweck werden die Gesamtbelastungen im Training und Wettkampf bis an die Grenze der Leistungsfähigkeit gesteigert. Dagegen steht ein entwicklungsgemäßer Leistungsaufbau, der auf die persönliche Bestleistung in einem optimalen Alter in Anpassung an die psycho-motorische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ausgerichtet ist.
Aus der Perspektive der Leistungsmaximierung im Höchstleistungsalter ist eine Spezialisierung so früh wie nötig, aus pädagogischer Sicht dagegen so spät wie möglich zu fordern. Aus der Tennispraxis kann man immer wieder beobachten, daß Kinder, die zu früh tennisspezifisches Training erhalten und zu früh Wettkampfpraxis erfahren, zwar früh und relativ schnell ein hohes Spielniveau erreichen, aber danach im Jugendalter keine weitere Entwicklung zu beobachten ist und oft mit dem Tennissport aufhören. Dagegen erreichen Kinder, die ihr Spielniveau langsam steigern, später höhere Leistungen, haben Spass an ihrem Sport und Leistungsvermögen und bleiben dem Tennissport lange erhalten. Letzteres sollte auch aus gesundheitlichen Gründen das Ziel sein.
Deswegen sollte man dem obersten pädagogischen Prinzip folgen und die Verantwortung für die ganze Person in den Mittelpunkt der Überlegungen stellen. Daraus folgert, daß eine frühzeitige Spezialisierung abzulehnen ist.
Das Interesse an der sportlichen Leistung muß in jedem Fall dem Interesse an der Gesamtentwicklung des Kindes untergeordnet werden. Die leistungssportlichen Aktivitäten füllen in der Regel nur einen kleinen Teil des Leben aus und bilden nur in seltenen Fällen die Grundlage für einen Existenzaufbau. Aus pädagogischer Sicht ist somit ein vielseitiges, breites Grundlagentraining zu bevorzugen, dagegen ist mit einem spezialisierten Training so spät wie möglich zu beginnen.
5. Praktische Empfehlungen
Wie man aus den theoretischen Grundlagen sehen kann, sind die Koordination, die Taktik und die Beinarbeit wichtige Elemente für die Gestaltung des Grund-lagentrainings im Kindesalter. Daraus kann man ein sinnvolles Training ableiten, um eine breite Basis für spätere persönliche Höchstleistungen zu schaffen.
Beim Kleinfeldtennis wird es den Kindern leicht gemacht, möglichst schnell vom Miteinander zum Gegeneinander Spielen zu gelangen. Durch kürzere
Schläger und weichere Bälle (ST-Bälle) sowie ein kleineres Spielfeld werden die Kinder spielerisch an die Tennistechnik (Treffpunkt und Hauptaktion) herangeführt, ohne die Kinder zu überfordern.
Das Kleinfeldtennis schafft die Grundlagen in technischer und taktischer Sicht für das spätere Normalfeld, denn alle Fertigkeiten kommen auch im Kleinfeld vor. Das Kleinfeldtennis ist darüber hinaus auch ein wichtiger Bestandteil des Grundlagentrainings, denn etwa 50% der Trainingsbelastungen sollten der technisch-taktischen Ausbildung gewidmet werden.
Wie schon beschrieben, dient das sogenannte Mini-Tennis oder Kleinfeld-Tennis, Kinder an die Tennistechnik heranzuführen, taktische Elemente zu erlernen und miteinander und später auch gegeneinander zu spielen. Dadurch wird die Motivation bei Kindern erhöht, denn sie wollen vor allem "spielen lernen" und nicht wie früher häufig praktiziert, nur die Schlagtechnik erlernen. Beim Spielen werden vor allem auch die Wahrnehmungs - sowie die Antizipationsfähigkeit gut trainiert und damit das Niveau der leistungslimitierenden Faktoren gehoben.
Sportarten-übergreifende Ballspiele, wie z. B. Fußball, Hockey usw. sollten ebenfalls in jedem Training vorkommen, um die koordinativen Fähigkeiten auf einer breiten Grundlage auszubilden. Zur Verbesserung der Koordination und der Beinarbeit dienen alle elementaren Lauf- und Sprungübungen, auch Sprintstaffeln und Schnelligkeitswettkämpfe.
Ein Tennisspieler muß seine Aktionen (Schlagposition, Timing etc.) auf den ankommenden Ball ausrichten. Deswegen ist die Ballschule sehr wichtig. Ballbeobachtungen, Ballgefühl und Ballberech-nung führen zur Ballbeherrschung. Deswegen ist es notwendig mit Kindern viele Fang– und Wurfübungen mit verschiedenen Bällen (vom Wasserball über Fußball und Tennisball zum Spassball) zu machen. Dazu gehören auch alle Ball- bzw. Schlägergewöhnungsübungen, d. h. die Kindern müssen mit dem Schläger Bälle prellen, hoch halten, auf kurze Distanzen miteinander spielen etc.. Dabei lernen sie den Ball zu beobachten und mit dem Schläger umzugehen.
Zusammenfassend kann man sagen, alle Übungen, die die motorischen Fähigkeiten der Kinder schulen, gehören in ein solches Training.
6. Eigene Erfahrungen
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, daß es sehr wichtig und sinnvoll ist, den Kindern ein gutes Grundlagentraining zu vermitteln. Die bereits existierenden Kleinfeldmannschaftswettkämpfe, kombiniert mit Wurfübungen und Staffelläufe für Kinder bis zehn Jahre, lassen genügend Zeit für ein solches Grundlagentraining, damit sich die Kinder entwickeln können. Die Jugendlichen werden dann bei den Wettkämpfen im Normalfeld nicht total überfordert, und die Kinder haben somit mehr Erfolg, dadurch mehr Freude und Spass am Sport und haben später bessere Chancen, ihre persönliche Bestleistung zu erzielen. Kinder, die koordinativ sehr gut sind, lernen die Tennistechnik leicht und spielerisch und haben später größere Möglichkeiten sich weiterzuentwickeln. Bei Spielern und Spielerinnen, die als Kinder sehr wenig allgemeine Koordinationsübungen gemacht haben und fast nur „Tennistraining“ hatten, ist immer wieder zu beobachten, daß sie irgendwann an einen Punkt gelangen, wo sie aufgrund mangelnder Koordinationsfähigkeiten stagnieren. Sie hören oft ganz auf mit dem Tennis. Damit die Kinder gute Chancen auf ihre persönliche Höchstleistung bekommen, sollten die Trainer anfangen den Kindern ein optimales Training zu gestalten. Das Grundlagentraining bietet sich hervorragend dafür an. Die Kinder bleiben lange bei der Sportart Tennis, haben Spaß am Sport, bewegen sich dadurch ausreichend, machen etwas für ihre Gesundheit und die positiven Effekte kann man im übrigen bei der ganzen Persönlichkeitsentwicklung beobachten. Denn besonders in der heutigen Zeit ist es wichtig Jugendliche von der Straße zu bekommen und der Sport bietet eine gute Möglichkeit sich neben der Schule sinnvoll zu beschäftigen. Ich glaube, daß durch ein gezieltes Grundlagentraining viele Kinder gut ausgebildetet werden können und damit auch wieder die Chance besteht, sehr gute Spieler und Spielerinnen auf nationaler und internationaler Ebene zu bekommen.